Dieser Artikel berichtet von meinen ersten Erfahrungen mit Straßenfotografie und den rechtlichen Problemen, die Straßenfotografie in Deutschland hat.
Für mich ist ein wesentliches Element der Fotografie flüchtige Eindrücke festzuhalten, eine Verlängerung meines Gedächtnisses zu sein und es mir zu ermöglichen meine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Straßenfotografie ist dafür unverzichtbar. Wenn ich beispielsweise eine Stadt bereise, interessieren mich weniger die Sehenswürdigkeiten und mehr die Menschen und das Feeling eines Ortes. Straßenfotografie hilft dabei, diese festzuhalten. Gleichzeitig hat sie auch eine unschätzbare zeitgeschichtliche Bedeutung. Vor einiger Zeit habe ich Aufnahmen von Reisenden gesehen, die Anfang der 70er Jahre durch Afghanistan und Indien gereist sind, und Straßenfotografie im weiteren Sinn betrieben haben. Gerade in Bezug auf Afghanistan haben die Bilder einen großen historischen Wert. Aber auch persönlich haben mich diese Fotos fasziniert: Ich habe mir sofort vorgestellt, wie Rucksackreisen zu dieser Zeit wohl gewesen sein müssen. Ähnlich geht es mir mit alten Bildern aus Paris oder von Studenten der 68er Generation.
Wie funktioniert Straßenfotografie und wie nicht
Vermeintlich scheint Straßenfotografie auf Reisen auch relativ einfach zu sein. Sie muss nicht technisch perfekt sein, sondern es geht mehr darum, richtigen Moment drauf zu halten, um die vielen Eindrücke einzufrieren. Doch ganz so leicht ist es leider nicht. Meine Frustration nach meinen ersten fotografischen Versuchen lag wesentlich daran, dass ich an der Reise- und Straßenfotografie kläglich gescheitert bin. Nach vier Wochen Reise durch Südostasien und unglaublich vielen fantastischen Momenten hatte ich praktisch kein einziges Foto, welches diese Erlebnisse festhielt. Daran zeigt sich, dass Straßenfotografie doch ihre ganz eigene Technik braucht. Das Hauptproblem war aber, dass ich praktisch kein einziges Foto gemacht hatte, auf dem Menschen zu sehen waren.
Leute vorher zu fragen, ob sie mit einem Foto einverstanden sind, ist in der Straßenfotografie nur sehr begrenzt möglich, da die meisten Menschen – oft ganz unterbewusst – für Fotos posieren und der natürliche Eindruck somit zerstört ist. Andererseits hatte ich schreckliche Angst vor Konfrontationen. Daher habe ich versucht mit langen Brennweiten, wenn niemand hinsah, schnell Fotos zu machen. Dies hat dazu geführt, dass ich mit Kamera in der Hand, halb hinter irgendetwas versteckt stand, mich umgeschaut habe und die Kamera oft im letzten Moment wieder heruntergenommen habe, weil doch jemand zu mir rüber sah. Dieses „Versteckspiel“ war selbstverständlich alles andere als unauffällig. Somit zog ich erst recht die Aufmerksamkeit auf mich und es kam überhaupt kein Foto zu Stande. Irgendwann habe ich Straßenfotografie dann aufgegeben und es gar nicht mehr versucht.
Dies änderte sich, als ich vor einigen Wochen dann einen englischen Beitrag über Straßenfotografie las. (Wenn ich ihn wiederfinde, verlinke ich ihn hier.) Der Autor beschrieb zunächst genau das Verhalten, mit welchem ich es versucht hatte, und kam zu dem Fazit: So kann es nicht funktionieren. Dann berichtete er von einem erfolgreichen Straßenfotografen, welchen er einen Tag begleitet hatte, und dessen Technik. Seine Methode war es im Vorbeigehen kurz stehen zu bleiben, ein Bild zu machen, als sei es das selbstverständlichste der Welt, und weiterzugehen. Die Idee dahinter ist, wenn jemand eine Tätigkeit völlig selbstverständlich ausführt, wird dies nur den wenigsten komisch vorkommen. Er berichtete, dass viele Leute gar nicht mitbekämen, dass er Fotos mache. Wenn sie es doch bemerkten, würden sie sich eher entschuldigen ins Bild gelaufen zu sein, als sich zu beschweren. Das Paradoxe ist also, je mehr sich der/die Straßenfotografin bemüht unauffällig zu sein, desto auffälliger ist es, wohingegen es am unauffälligsten ist, ganz offen zu fotografieren.
Eine Ergänzung, die ich aber machen würde, ist, dass es sicherlich auch von der Kamera abhängt. Eine große Vollformat DSLR erregt bei der Straßenfotografie sicherlich mehr Aufmerksamkeit als eine kleine Systemkamera. Einfach weil erstere mehr nach Profi und letztere eher nach Schnappschuss aussieht.
Dieser Beitrag hat mich auf jeden Fall motiviert, es noch einmal mit der Straßenfotografie zu versuchen. Schließlich war mir jetzt klar, was ich falsch gemacht hatte. Also habe ich mir meine Kamera geschnappt und bin an einem Samstagnachmittag mit meiner Freundin in die Innenstadt gefahren. Zuerst war ich ziemlich nervös und habe mich wieder nicht getraut zu fotografieren. Aber nach den ersten Bildern legte sich diese Nervosität ziemlich schnell, denn es hat großartig funktioniert! Ich habe die Kamera locker auf Hüfthöhe gehalten (Hier bewährt sich ein Klappdisplay wirklich!), bin kurz stehen geblieben, habe abgedrückt und bin eine Sekunde später weitergegangen. Obwohl die Fußgängerzone voll von Menschen war, ist es den meisten überhaupt nicht aufgefallen, dass ich Bilder gemacht habe. Nicht ein einziges Mal wurde ich angesprochen oder gab es Probleme. Hinterher habe ich nur noch ganz selten auf ein Bild verzichtet, wenn jemand wirklich schon im Vorfeld direkt auf die Kamera geschaut hat. Grundsätzlich war es aber ohne Probleme möglich auch Bilder zu machen, wenn die Leute in meine Richtung geschaut haben.
Warum präsentiere ich dann hier nicht einige Ergebnisse? Das bringt mich zum zweiten Teil dieses Artikels: der problematischen Situation von Straßenfotografie in Deutschland.
Die rechtliche Situation von Straßenfotografie
(Bitte beachten: Ich bin kein Jurist, ich schildere die rechtliche Lage hier so, wie ich sie als Laie verstanden habe.)
In vielen Ländern (z. B. den USA) ist es erlaubt an öffentlichen Orten Fotos zu machen, auch von den dort befindlichen Personen. Die Bilder dürfen auch veröffentlicht werden. Einwilligen müssen abgebildete Personen nur, wenn ihre Bilder zu Werbezwecken verwendet werden sollen. Die ideale Situation für Straßenfotografie. Ganz anders in Deutschland, durch das Recht am eigenen Bild muss jede Person, welche auf dem Bild identifizierbar ist, ihre Einwilligung geben. Straßenfotografie ist damit faktisch unmöglich. Eine Ausnahme bilden nur Gruppen von Menschen, welche sich zu einer gemeinsamen Aktivität versammelt haben. Gerichtsurteile sagen aber eindeutig, dass Dinge wie „einkaufen“ oder „sich im Park sonnen“ keine solchen Aktivitäten sind.
Ich bin hin und her gerissen, wie ich dies finden soll. Einerseits bin ich selbst ganz froh, dass nicht einfach Fotos von mir gemacht werden dürfen. Andererseits will wohl niemand ernsthaft auf Straßenfotografie verzichten. Schließlich wird sie – zumindest bei zeitgeschichtlichen Themen wie z. B. „Alltag in der DDR“ – auch in Deutschland geschätzt.
Besonders pikant fand ich, dass ich neulich sah, wie der WDR einfach Passanten filmte – und zwar eindeutig in Nahaufnahme! Bei dem WDR beschwert sich niemand, auch wenn es faktisch genauso illegal ist, wie bei jedem Amateur. Dies lässt sich nicht anders, denn als ungerecht und höchst unfair bezeichnen. Zugleich zeigt dies, wie unhaltbar die deutsche Gesetzgebung zu dem Thema ist.
Anstatt „halboffizielle“ Rechtsbrüche einfach zu tolerieren, müssen die Gesetze einfach dringend geändert werden. Was hier der beste Kompromiss ist, weiß ich auch nicht. Denkbar wäre es, das Recht am eigenen Bild unverändert beizubehalten, aber dokumentarischen und künstlerischen Zwecken eine „Sondergenehmigung“ zu erteilen.
Straßenfotografie hat unbezweifelbar künstlerischen und historischen Wert, deshalb braucht sie eine rechtliche Basis!
Ein netter und ehrlicher Post ist so richtig aus dem Leben.
Den meisten von uns wird es so ergehen wie Dir – wieviele tolle Portraits oder Situationen gehen verloren, weil man nicht darf, sich nicht traut und auch nicht selber abgelichtetes Objekt sein möchte, dass dann im schlimmsten Fall einer gaffenden Meute im Internet präsentiert wird.
Einen schönen Tag!
Reinhard
Hallo Jan. Du hast das Dilemma der (deutschen) Straßenfotografie gut beschrieben. Einerseits die Angst beim Fotografieren selbst, andererseits die unbefriedigende rechtliche Lage. Ich denke, gerade die rechtliche Situation verstärkt das schlechte Gewissen beim Fotografieren auf der Straße. Trotzdem sehe ich nur folgendes:
1.) Kunst ist Kunst und kann per Gesetz nicht aufgehalten werden.
2.) Die Dokumentation einer Zeit ist eine sehr wichtige Regionale, Nationale und Internationale Aufgabe. Dieses Feld kann man nicht nur der Presse überlassen. Diese ist zu oft in ihrer Darstellung an kommerziellen Begebenheiten oder an Politischen Vorgaben (totalitäre Staaten) gebunden. Also weiter den Auslöser drücken 🙂
Hallo Lutz,
ich gebe dir völlig recht. Ich denke ebenfalls, Straßenfotografie darf sich nicht verbieten lassen. Das Problem bleibt aber bestehen, dass sie eine illegale Handlung darstellt.
Mir passiert es auch immer wieder, dass ich beim fotografieren angepöbelt werde, allerdings nicht von den Leuten, die ich fotografiere (dort achte ich sehr genau auf nonverbale Kommunikation), sondern von Menschen die gar nicht auf dem Bild sind, sondern sich offensichtlich allein schon durch die Kamera in ihrer Nähe gestört fühlen bzw. sofort davon ausgehen, dass sie fotografiert wurden.
Noch als Anekdote im Rande, letzten Sommer wurden meine Tochter und ich, als wir durch die Stadt liefen, ziemlich offensiv vom WDR gefilmt. Einen Grund dafür gab es nicht, anscheinend brauchten sie Füllmaterial für irgendeinen Beitrag. Legal war das keinesfalls, aber der WDR scheint darauf zu bauen, dass sich bei ihm schon keiner beschweren wird…
Grüße,
Jan